Wer sich mit der technischen Seite der Automobil-Industrie befasst und dabei aktuelle und kommende Entwicklungen im Fokus hat, stößt zwangsläufig früher oder später auf Begrifflichkeiten wie AUTOSAR, HPC, ECUs, Scrum und viele mehr. Dies ist dem zunehmenden Anteil an Software-Entwicklung geschuldet, die in aktuellen Fahrzeugen eine immer größer werdende Rolle spielt. Kaum eine Funktion im Fahrzeug, die nicht auf Software, Steuergeräte, Updates und Computing Plattformen zugreift. Damit es mit all den verschiedenen Spielern auf dem automobilen Feld kein komplettes Chaos gibt, wurden Standards einberufen – Standards wie AUTOSAR.
Doch selbst Standards sind vor dem Zahn der Zeit nicht gefeit – so unterscheidet man dieser Tage zwischen dem herkömmlichen AUTOSAR, nun auch bisweilen als „AUTOSAR Classic“ (oder gar „Classic Plattform“) betitelt, und AUTOSAR Adaptive. Wieso dem so ist und wieso das auch guten Grund hat, erklärt dieser Artikel der Mobility Rockstars.
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Marc
Marketing Professional
25.02.22
Ca. 14 min
Was ist AUTOSAR?
AUTOSAR ist, wie könnte es anders sein, wenn es ausschließlich aus Großbuchstaben besteht, ein Akronym und steht für „Automotive Open System Architecture“, also übersetzt eine offene Systemarchitektur im Automotive-Bereich. Das klassische AUTOSAR deckt dabei die aktuell in Fahrzeugen bestehende Situation als Standard ab: Eine hohe Zahl an unterschiedlichen Steuergeräten und ECUs (Electronic Control Unit), BUS-Systeme, die vornehmlich signalorientiert strukturiert sind, also adressorientiert kommunizieren.
Wenn wir AUTOSAR einen Standard nennen, meinen wir damit, dass es sich dabei um eine weltweite und gemeinsam gegründete Partnerschaft diverser Automobilhersteller (oft in der Branche nur OEM genannt, also „Original Equipment Manufacturer“ – wieso das in der Automobilindustrie etwas anders zu betrachten ist als beispielsweise bei Hardwareherstellern in der Computerindustrie, ist ein Thema für einen anderen Artikel).
Dieser gemeinsame Standard ist erforderlich, damit die Vielzahl an heute in Fahrzeug benötigten Systemen wie beispielsweise Software über verschiedene Marken hinweg nutzbar ist, damit Sicherheits-Standards branchenweit greifen können, damit Partnerschaften in Entwicklung und Produktion entstehen können und natürlich, um eine Nachhaltigkeit im Produktlebenszyklus anzustreben. So kann beispielsweise die Entwicklung einer für alle Hersteller nutzbaren Schnittstelle begünstigt werden, was Ressourcen spart und für Hersteller wie Kunden zeit- und preisgünstiger ist als vor der Einführung von AUTOSAR im Jahr 2003, in der die Menge unterschiedlicher Eigensysteme bei den Automotive OEMs dazu tendierte, immer unübersichtlicher zu werden.
Dank AUTOSAR wurden eben jene Schnittstellen für die Kommunikation der diversen Steuergeräte standardisiert, die wiederum die entwicklerspezifischen Anwendungen (beispielsweise das Infotainment-System, Batterie-Management, Motorsteuerung etc.) verwalten.
Zum grundsätzlichen Aufbau lässt sich – stark vereinfacht – sagen, dass AUTOSAR Classic im Sinne einer Architektur in drei Schichten konzipiert ist:
- Basis-Software
- Laufzeitumgebung
- Anwendungen
Diese Dienste laufen auf einem Micro-Controller, die Anwendungssoftware ist idealerweise hardwareunabhängig – dies soll erreicht werden durch die Abstrahierung durch Basis-Software und Laufzeitumgebung und erhöht somit die Portabilität und Wiederverwendbarkeit. Wir könnten noch weiter in die Tiefe gehen, würden aber zugunsten einer lesefreundlichen Struktur an dieser Stelle auf die gute, alte Wikipedia verweisen.
Gegenüber dem klassischen AUTOSAR, dass die aktuell größtenteils auf den Straßen zu findende Situation abdeckt, entwickelte sich im Lauf der Zeit und mit dem Voranschreiten der Automobil-Entwicklung AUTOSAR Adaptive.
Was ist AUTOSAR Adaptive?
Das Hauptmerkmal des AUTOSAR Adaptive Standards ist die serviceorientierte Architektur und Kommunikation, deren Notwendigkeit sich aus der Vielzahl neuer Anforderungen an aktuelle und kommende Fahrzeuge ergibt. So liegt ein Fokus auf dem hochautomatisierten Fahren, in dessen Zuge ein Fahrzeug mit zahlreichen Off-Board-Anwendungen kommunizieren muss oder die Kontrolle vom Fahrer komplett übernimmt. Von der Smartphone-Integration über Over-the-air-Updates, von Webdiensten über High Computing Plattformen, um komplexe Aufgaben parallel abzuarbeiten, von Cloud-Backends bis zur Ferndiagnose: Fahrzeuge entwickeln sich, Systeme und Architekturen verändern sich, und somit entwickeln sich auch die Standards mit.
Dementsprechend wurde die AUTOSAR Adaptive Plattform entwickelt und unterstützt ein Betriebssystem auf dem POSIX-Standard (Portable Operating System Interface), einer gemeinsamen für Unix entwickelten Schnittstelle zwischen Software (oberste Schicht der Anwendungen im klassischen AUTOSAR) und Betriebssystem (der High Performance Computing Plattform).
Das Kernthema ist also im Grunde Vereinfachung: Weg von einer Vielzahl unübersichtlicher Steuerfunktionen, in deren systemischem Wirrwarr selbst Profis mitunter in Schwierigkeiten geraten, die aktuelle Funktion zum verantwortlichen Steuergerät zurückzuverfolgen. Es geht also weg von vielen, spezialisierten, statischen Embedded ECUs hin zu wenigen, nicht spezialisierten Hochleistungs-Steuergeräten, mit denen Funktionen dynamisch konfiguriert und über Domänengrenzen hinweg verteilt werden können. Dass die Industrie hieran schon lange arbeitet, zeigt auch das interessante Interview der Mobility Rockstars mit der Volkswagen-Tochter CARIAD auf, das findet ihr bei Interesse unter diesem Link.
Erklärtes Ziel von AUTOSAR Adaptive, einem Hauptthema der Cognizant Mobility im Bereich Embedded Systems, das vornehmlich in der Niederlassung Fulda unter Leitung von Jens Schmidt betreut wird, ist der Ersatz der Vielzahl von Steuergeräten und ECUs durch wenige, hoch performante High Computing Plattformen und domänenübergreifende Server. Langfristige Vision der Cognizant Mobility ist dabei, wie von Geschäftsführer Jörg Ohlsen schon wiederholt prognostiziert, die OEM-übergreifende Standardisierung und Kommunikation. „Herstellerübergreifende Kooperationen, sowie IT-Partnerschaften entlang der Wertschöpfungskette machen für die deutsche Automobilindustrie durchaus Sinn, um mit den Entwicklungsanforderungen auf dem internationalen Markt Schritt zu halten. Ich habe die Cognizant Mobility nicht zuletzt auch daher mit großen IT-Playern global vernetzt, um technologisch noch besser aufgestellt zu sein und Standards mitentwickeln zu können“, so Ohlsen zum Thema der optimalen Vernetzung.
Gerade im Bereich AUTOSAR Adaptive ergibt sich aus diesem Mindset auch ein ableitbarer, praktischer Nutzen – Endnutzer von Fahrzeugen könnten künftig Updates einfach over-the-air während der Fahrzeugnutzung erhalten oder während des Parkens vornehmen lassen und sparen sich somit den Umweg in eine Werkstatt. So werden Ressourcen freigesetzt, sowohl beim Kunden als auch beim OEM oder dem Mechaniker, die sinnvoll in die Entwicklung künftiger Systeme investiert werden können.
Das heißt aber natürlich nicht, dass beim Thema AUTOSAR Adaptive bereits alles getan und gesagt wurde, im Gegenteil. Die Entwicklung auf diesem Gebiet schreitet täglich voran – schließlich müssen nicht nur die entsprechenden Tool-Landschaften gebildet und Prozesse definiert werden (ein üblicherweise nicht ganz müheloser Vorgang), ganze Organisationsstrukturen müssen sich teils von Grund auf ändern, um mit aktuellen Anforderungen der (Software-)Entwicklung Schritt halten zu können. High Performance Computing Systeme müssen entwickelt werden, die mehrere Prozessoren, Graphics Processing Units und andere Prozesseinheiten vereinen müssen – gegensätzlich zu AUTOSAR Classic, das für einzelne oder maximal Multicore-Architekturen gedacht ist. Da sich viele Anforderungen moderner Fahrzeugentwicklung auch erst noch zeigen müssen, muss auch Adaptive AUTOSAR flexibel und somit dynamisch bleiben – erneut, im Gegensatz zu Classic AUTOSAR, das in seiner Natur statisch ist und auf eingebettete Systeme setzt.
AUTOSAR Adaptive bei der Cognizant Mobility
Cognizant Mobility als Teil der Zulieferkette der Automobilindustrie widmet dem Thema Adaptive AUTOSAR eine hohe Aufmerksamkeit. So vertritt das Unternehmen beispielsweise die Interessen der Volkswagen Gruppe im AUTOSAR Gremium und nimmt teil an der Entwicklung neuer Standards. Bei diesem Unterfangen nicht nur in der ersten Reihe zu sitzen, sondern aktiver Protagonist auf diesem Feld zu sein, zeigt die Erfahrung des Unternehmens auf sowie das Vertrauen der OEMs.
Doch auch aktive Software-Entwicklung unter dem Standard und die Entwicklung neuer Software-Architekturen sind Teil der Aufgaben der Cognizant Mobility in Fulda, vom Konzept bis zur Software-Entwicklung an sich, auch unter Berücksichtigung weiterer Kompetenzfelder wie Cloud Services, Software as a Service und Embedded Systems – sprich, alles, was im Fahrzeug in Sachen Software „eingebettet“ ist.
Der nächste Schritt in der weiteren Entwicklung von sowohl des AUTOSAR Standards als auch der hauseigenen Expertise ist der Aufbau eines Demonstrators, der deutlich aufzeigt, wie sich Adaptive AUTOSAR nutzen lässt, wie Ideen und Konzepte entwickelt werden können, aber auch Problemstellungen zu testen. Hierzu arbeitet die Cognizant Mobility im Rahmen einer Kundenbeauftragung mit einem Adaptive AUTOSAR Softwarestack. Wie genau dieses in technischer Hinsicht funktioniert, erklärt ein umfangreiches Dossier der Universität Koblenz Landau vorbildlich, wir verlinken euch das Dokument gerne an dieser Stelle.
Mit diesem Stack lassen sich Innovationen und aktuelle Entwicklungen hervorragend abbilden und erforschen, indem eine hochdynamische Softwareumgebung und mehrere virtuelle Instanzen genutzt werden, die Steuergeräte imitieren und dabei helfen, den Weg weg von der Vielzahl an ECUs hin zum Einsatz weniger High Performance Computing Plattformen zu finden. So können wir nicht nur logische Rückschlüsse hinsichtlich neuer Möglichkeiten ziehen, sondern auch Konzepte und Architekturen testen, die in den Adaptive AUTOSAR Standard einfließen können.
Noch einen Schritt weiter gedacht ist ein physischer Demonstrator, beispielsweise eine HPC-Plattform, auf der AUTOSAR Adaptive läuft und beispielsweise mit einem Automotive Android Device oder einer Classic Plattform kommuniziert. Ein denkbarer Usecase wäre das Update der nicht adaptiven Komponenten im Fahrzeug oder das Konsumieren eines Off-Board-Services.
Dies dient nicht nur dazu, das eigene Knowhow zu fördern: Auch das Durchführen von AUTOSAR oder Embedded System Schulungen wird so möglich. Diesen Demonstrator auf Messen einzusetzen und direkt beim Kunden vorzustellen, sind aktuelle Ziele der Adaptive AUTOSAR Tätigkeiten. Weg von den meist wenig konkreten Erklärungsversuchen, die allzu oft vage und rein konzeptionell bleiben. Auf einem physischen Demonstrator können konkrete User Stories abgebildet werden – wie wird eine App per Plug and Play installiert, wie werden Ultra Wideband Systeme angebunden, oder wie lassen sich personalisierte Änderungen über verschiedene Standorte over the air übertragen, Stichwort „Digital Twin“?
Der Nutzen von AUTOSAR Adaptive- Das Fazit
Den reinen Nutzfaktor gemeinsamer Standards zu benennen, fällt nicht schwer: Vereinfachung, übergreifende Zusammenarbeit, schnellere und effizientere Entwicklung. Werden die Rechenanforderungen intensiver, müssen Systeme und Architekturen Schritt halten. Adaptive AUTOSAR bildet eine Grundlage für die immer rasanter fortschreitende Entwicklung, indem es für eine maximale Update- und Upgrade-Fähigkeit benötigter Komponenten bietet. Gerade im Bereich autonomer Fahrfunktionen sind gewaltige Rechenleistungen gefragt, ebenso wie sich dynamisch mitentwickelnde Architekturen, die schnell und flexibel modernen und teils geänderten Anforderungen begegnen können. Der Schritt hin zur serviceorientierten Architektur ermöglicht einen gemeinsamen Fortschritt auf einem Markt, der lange – vielleicht fast schon zu lange – entwicklerspezifisch geprägt war.