Virtual Embedded Pipeline: Mit echter Handwerkskunst in die Zukunft

In der sich rapide entwickelnden Landschaft der Automobilindustrie bereitet das Konzept des „Software Defined Vehicle“, also des Software-definierten Fahrzeugs (mitunter auch simpel mit „SDV“ abgekürzt), den Grund für eine neue Ära der Mobilität. Das ist klangvoll formuliert, indes wahr: Die Zeiten, in denen Fahrzeuge ihre Wertschöpfung und damit ihren Wert rein aus Hardwarekomponenten definieren, sind längst vorbei. Das Fahrzeug der Zukunft ist mit seinen Möglichkeiten, stetig mit Updates versehen zu werden, und zwar in allen Bereichen von grundlegenden Steuergeräts-Funktionen bis zu Quality-of-Life-Features, von Predictive Diagnostics bis zu K.I. als Alltagshelfer, fast schon mit einem Smartphone zu vergleichen. Während sich die Industrie in eine überaus nahe Zukunft bewegt, in der sich die Trennung zwischen Hard- und Software immer stärker abzeichnet, spielen virtuelle Embedded Pipelines eine wichtige, vielleicht sogar kritische Rolle. Hierbei handelt es sich um einen Weg die durch Kunden erlebbare Funktionalität von der ausführenden Hardware weiter zu abstrahieren und die nahtlose Integration des Software Development Prozesses und Testing über virtuelle Umgebungen sicherzustellen. Auf der Embedded World 2024 gewährt unter anderem Cognizant Mobility einen ersten Einblick in diese Zukunft, zeigt erste Achievements und Beispiele und erklärt, wie Virtual Embedded Pipelines den Weg zu Software-definierten Architekturen beschleunigen können. Dieser Artikel erklärt grundlegend, welche kollaborativen Unternehmungen und technischen Durchbrüche für diesen Ansatz erforderlich sind und wieso dies auch über die Grenzen der Embedded World hinaus relevant für eine ganze Industrie sein kann.

Marc Wiechmann Cognizant Mobility

Marc

Marketing Professional

25.03.24

Ca. 11 min

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Virtual Embedded Pipeline im Software-Defined Vehicle: Wenn modernes Handwerk alte Kunst überholt

Ziehen wir an dieser Stelle eine Analogie zum Handwerk. Denn auch das Handwerk entwickelt sich: Neue Anforderungen, neue Tools, neues Wissen. Und dennoch benötigt es schrittweise Annäherung vom Konzept an die Umsetzung – das hat sich auch nicht geändert, nur die Werkzeuge haben sich weiterentwickelt, womit wir beim Stichwort wären: Wo die traditionellen Methoden der Fahrzeugentwicklung sich noch massiv auf die in der Hardware integrierten und untrennbar verbundenen Funktionen verließen, waren mangelnde Flexibilität und vor allem ein langsameres Entwicklungstempo unausweichliche Folgen. Der Übergang zum von Software definierten Fahrzeug ist nicht nur eine Entwicklung – es ist ein Paradigmenwechsel, der einen flexibleren, effizienteren und nicht zuletzt auch kosteneffektiveren Entwicklungsprozess ermöglicht. Und der beschränkt sich mitnichten nur auf Infotainment, Fahrerassistenzsysteme und generelle Connectivity. Im Kern steht das Software-Defined Vehicle für eine ganze Infrastruktur, um Software für Fahrzeuge schnell und effizient zu entwickeln und auf das Fahrzeug zu deployen. Dazu gehören auch kritische Systeme wie Antrieb und Fahrwerk. Um neue Funktionen und Features auf das Fahrzeug zu bringen, ohne komplexe Architekturabstimmungen, erfordert es eine starke Abstraktion, was die Virtual Embedded Pipeline unterstützt.

Virtual Embedded Pipeline: Cloud Native ist das Handwerk der Zukunft

Die Virtual Embedded Pipeline besteht im Wesentlichen aus drei Teilbereichen – die integrierten Standards SOAFEE, AUTOSAR und ARM erklären wir im Anschluss – und setzt dabei auf eine vollständige und umfassende Virtualisierung aller Schritte.

Zu Beginn der Pipeline steht die Cloud Native Embedded Software Entwicklung, die – hence the name – auf eine Cloud basierte Laufzeitumgebung und leistungsfähige Frameworks setzt (u.a. werden Softwarekomponente der Partnerfirma Elektrobit genutzt). Die Software inkludiert den in der Automobilindustrie serientauglichen AUTOSAR Standard. Dabei werden verschiedene Aktionen automatisiert, wie beispielsweise die Builds der integrierten Software Container und Pakete. Die Software wird hierbei im Detail analysiert und validiert.

Es folgen die Integration und das Testing der Software, die dazu auf eine virtuelle Maschine deployed und direkt in der Cloud getestet wird – der Clou daran: Die Ziel-Hardware muss hierfür nicht vorhanden sein, ja, nicht einmal physisch existieren. Der Prozess lässt sich – vor allem dank SOAFEE, einem Framework mit ausgezeichneter Virtualisierungsunterstützung – ganz im Sinne eines Software-Defined Vehicles virtuell umsetzen und bietet durch den Cloud Native Ansatz via AWS (Amazon Web Services) enormes Potenzial um (Entwicklungs-)Zeit, Kosten und Aufwand zu minimieren.

Ist die Testingphase abgeschlossen, kann die Software Over-the-Air (OTA) auf die Zielhardware deployed werden, neu entwickelte Funktionen können live getestet werden und die Interaktion mit dem Endnutzer ist möglich. Dies demonstriert Cognizant Mobility auf der Embedded World 2024 und zeigt dabei den besonderen Vorteil auf, dass die Hardware nicht vorhanden sein muss, um den gesamten Entwicklungsprozess erfolgreich abzuschließen.

Der Übergang von traditioneller Softwareentwicklung zur virtuellen Embedded Pipeline bringt weitreichende Implikationen mit sich und beeinflusst nahezu jeden Aspekt in der Fahrzeugentwicklung von Design zu Instandhaltung und Reparatur sowie Updates während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs, Stichwort UNECE R155 (und R156).

Enormer Vorteil der Virtual Embedded Pipeline: Der gesamte Arbeitsplatz kann virtuell zur Verfügung gestellt werden, mitsamt aller Werkzeuge, die für die spezifische Embedded Entwicklung notwendig sind. So lässt sich das gesamte Konzept beliebig schnell und hoch skalieren.

Die Komponenten der Virtuellen Embedded Pipeline im Quick Dive

Die virtuelle Embedded Pipeline integriert verschiedene Bausteine und Schlüsseltechnologien, um einen nahtlosen und effizienten Prozess zu kreieren.

SOAFEE (Software Architecture for Electronical Control Units) wurde designt, um Cloud-Native-Entwicklung im Automotive-Sektor zu unterstützen. Es erleichtert den Übergang in die Software-First-Entwicklung, befähigt die Automobilindustrie, Tempo und Flexibilität dank Cloud Computing zu erhöhen. Durch die Integration von SOAFEE in die Virtual Embedded Pipeline können Entwickler Software in Cloudumgebungen simulieren und testen, ohne die Hardware dafür zu benötigen. Das beschleunigt den Entwicklungsprozess erheblich und stellt sicher, dass Software für unterschiedlichste Hardware-Konfigurationen bereitgestellt werden kann. 

Die ARM Architecture ist elementar für die Pipeline und stand früher für „Acorn RISC Machines“ und bis heute für „Advanced RISC Machines“ („RISC“ wiederum steht für „Reduced Instruction Set Computer“, also „Rechner mit reduziertem Befehlssatz“ – die Automotive-Industrie hat zweifelsfrei ein Faible für markige Akronyme). Hierbei handelt es sich um Prozessoren mit überaus geringem Energiebedarf aber starker Performance, ideal also für Automobil-Einsätze wie z.B. in Steuergeräten. Durch den Einsatz von ARM-basierten virtuellen Umgebungen stellt die Pipeline sicher, dass Software mit Hinblick auf die zugrundeliegenden Hardwaremöglichkeiten und der entsprechend benötigten Kompatibilität entwickelt wird. Diese Kompatibilität zwischen virtueller und physischer Umgebung vereinfacht den Übergang von der Entwicklung bis zum Deployment, reduziert die wichtige Time-to-Market und erhöht die Zuverlässigkeit und Qualität des Endprodukts und seiner Inkremente.

AUTOSAR (AUTomotive Open System Architecture) wiederum ist eine standardisierte Plattform, die die Entwicklung interoperativer Softwarekomponenten für Fahrzeuge ermöglicht und unterstützt. Für sehr detaillierte Informationen empfehlen wir unseren Artikel zum Thema. Im Kontext der virtuellen Embedded Pipeline spielt AUTOSAR eine kritische Rolle dabei sicherzustellen, dass entwickelte Software kompatibel zu den existierenden Automobilstandards und -systemen ist. Diese Standardisierung ist der Schlüssel dazu, Over-the-Air-Updates zu verwalten und die kontinuierliche Weiterentwicklung von Fahrzeugfunktionen ohne Hardware-Täusche zu ermöglichen.

Die Synergie dieser elementaren Bausteine der virtuellen Embedded Pipeline stellt einen Sprung nach vorne im Rahmen der Fahrzeugentwicklung dar. Der Cloud-Native-Ansatz, gepaart mit der Adaptivität von ARM und der via AUTOSAR ermöglichten Standardisierung schafft ein robustes Framework für die Entwicklung, das Testing und die Bereitstellung von Automotive Software mit bisher so nicht bekannter Geschwindigkeit und Effizienz. Vor allem aber wird es OEMs befähigen, Fahrzeuge auf den Markt zu bringen die nicht nur fortschrittlicher und schneller auf dem Markt präsent sein werden, sondern auch responsiv auf die sich entwickelnden Anforderungen und Erwartungen der Fahrzeugnutzer reagieren kann. Und das ohne eine sich erweiternde Connectivity, Autonomie und Nachhaltigkeit zu vernachlässigen.

Embracing HPC: Wie die Virtual Embedded Pipeline den Paradigmenwechsel fördert

Wie wichtig virtuelle Entwicklungsplattformen sind und sein werden, zeigt auch die die Embedded World 2024 in Nürnberg. Diese Veranstaltung mit dem Prädikat „Blick in die Zukunft“ zu versehen, mag als Phrase verstanden werden, entbehrt aber nicht der Richtigkeit. Virtuelle Prozessketten werden mehr und mehr absolut integraler Bestandteil dabei, traditionelle Challenges in der Softwareentwicklung zu überwinden.

Auch unterstützt dieser Ansatz den Wechsel der Automobilindustrie in die HPC-Architektur (High Performance Computing) zugunsten deutlich zentralisierterer Computingmodelle in Fahrzeugen und weg von Steuergeräten mit dedizierter Funktionalität. Die virtuelle Embedded Pipeline zwingt nämlich zu einer Konsolidierung von Funktionen und Features bereits in den sehr frühen Phasen der Entwicklung. Als Stichwort sei hier Funktionsorientierte Architektur erwähnt. Dadurch, dass Entwickler sich schon zu Beginn der Entwicklung damit auseinandersetzen, welche Funktionen beispielsweise über das gesamte Fahrzeug hinweg geteilt werden könnten oder welche Algorithmen wirklich in Echtzeit laufen müssen und welche diesen Anspruch nicht haben, findet ein Umdenken statt. Das erhöht nicht nur die Transparenz, sondern ermöglicht am Ende des Tages auch, dass zukünftige Funktionen und die damit verbundenen Innovationen nahtlos während der Produktlebensphase nachgerüstet werden können. Hierfür ist es auch nicht mehr zwingend notwendig, dass Entwickler alle Steuergeräte/ECUs und die darin implementierten Funktionen kennen oder sich in komplexe Architekturabstimmungen begeben müssen, die im worst case sogar ein Flashen der verbauten Steuergeräte erzwingen. Stattdessen kann in Services/Microservices und in „Software Packages“ gedacht werden.

Das Denken in Zentralrechner-Architekturen (HPC) verkörpert die Evolution von Fahrzeugen, die smarter, sicherer und adaptiver bezüglich der Wünsche der Kunden sind. Die Virtual Embedded Pipeline besitzt das Potenzial, das Rückgrat dieser Evolution zu sein. Durch das gezielte Front-Loading im Entwicklungsprozess liegt ein weiterer Vorteil der Pipeline auf der Hand: Sollten beispielsweise Fehler entdeckt werden, geschieht dies so früh im Prozess und losgelöst von Hardware-Limitierungen, dass eine Anpassung keinen negativen Einfluss auf den Entwicklungsprozess nimmt, beispielsweise in Hinsicht auf Kosten oder Entwicklungsdauer.

Es bleibt also festzuhalten, dass die Bedeutung von virtuellen Entwicklungsumgebungen wie der Virtual Embedded Pipeline nur schwerlich überbewertet werden kann. Sie vereinfacht nicht nur den Entwicklungsprozess, sondern ermöglicht Herstellern, die Grenzen der bisherigen Möglichkeiten in der Automobiltechnologie zu überwinden, Funktionen schneller auszurollen, flexibler auf den Markt zu reagieren und letztlich den Kunden durchdachte und wartbare Produkte bietet. Ein wichtiges Signal in einer Zeit, in der die Konkurrenz international kaum größer und herausfordernder sein könnte und das vor allem deutsche Automobilhersteller wieder up to date bringen kann.

Wer sich davon live inspirieren lassen möchte, findet Cognizant Mobility auf der Embedded World 2024, oder kontaktiert uns gerne jederzeit über das Kontaktformular für detaillierte Informationen.

Lasst die Reise beginnen.

Professional Marc

Marc

Marketing Professional

Marc arbeitet als Senior Digital Marketing Manager bei Cognizant Mobility und generiert Content, fährt Kampagnen und leitet die SEO-Strategie der Internetauftritte.