Vibe Coding: Brauchen wir überhaupt noch echte Entwickler?

Wie KI, Large Language Modelle & agentische Systeme die Softwareentwicklung neu formen

Vibe Coding, KI und agentische Systeme verändern derzeit in rasantem Tempo, wie Software entwickelt wird. Mit dem Aufkommen von Vibe Coding stellt sich für viele die Frage: Wie viel Fachwissen ist künftig noch nötig, um Code zu schreiben? Werden klassische Softwareentwickler damit überflüssig? In diesem Beitrag schauen wir uns genauer an, was hinter Vibe Coding steckt, welche Chancen und Risiken dieser Ansatz birgt – und warum tiefes Verständnis für Architektur, Logik und Problemlösekompetenz wichtiger bleiben denn je.

Stefanie Dern

Marketing Professional

14.10.25

Ca. 7 min

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Was ist Vibe Coding überhaupt?

Code wird heute in der Regel nicht mehr Zeile für Zeile geschrieben – unzählige Frameworks, fertige Snippets, Code Completion und natürlich auch die erste Generation an A.I. Code-Generatoren sorgen für hervorragende Unterstützung. Vibe Coding bricht nun das klassische Muster noch weiter auf. Der Begriff wurde Anfang 2025 vom KI-Pionier Andrej Karpathy geprägt. Die Idee: Völlige Abwendung von der Codebasis. Stattdessen wird einer KI bequem über Sprache – natürlich gesprochen oder geschrieben – mitgeteilt, welche Funktionen die fertige Software oder App erfüllen soll.

Die KI übernimmt daraufhin den gesamten Entstehungsprozess: Sie analysiert die Anforderungen, vervollständigt logische Lücken, die bei der Aufgabenbeschreibung möglicherweise entstanden sind, erstellt eine grobe Architektur sowie die Funktionen, strukturiert den Code nach Modulen und passt diesen anhand von Feedback des Users kontinuierlich an. Dieser Zyklus aus generieren, testen, beobachten und anpassen macht den Prozess sehr leichtgewichtig und dadurch so interessant.

Welchen Mehrwert bietet Vibe Coding und wo liegen die Grenzen?

Dank der einfachen Handhabung und Zugänglichkeit eröffnet Vibe Coding ein breites Anwendungsspektrum. Auf den ersten Blick wirkt das Konzept jedoch – insbesondere in hochsensiblen Bereichen wie der Automobilindustrie, wo Entwickler mit komplexen Steuergeräten sowie sicherheitskritischen Anwendungen arbeiten und dabei strengen Normen und standardisierten Prozessen unterliegen – zunächst wie völlige Utopie und vorbeigedacht an den täglichen Herausforderungen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch ein differenziertes Bild:

Möglicher Einsatz und dessen Benefits:

  • Schnelleres Prototyping: Zum Beispiel einen neuen Screen fürs Infotainment-System aufsetzen und verschiedene Anzeigenelemente verproben.
  • Generierung von Testfällen: Automatisiertes Ableiten von Testfällen und deren Ausführung auf Basis von Requirements – lediglich durch eine sprachliche Eingabeaufforderung.
  • Hilfstools für Prozessautomatisierung oder Datenvisualisierung: Apps zur Prozessautomatisierung und Integration über Toolgrenzen hinweg, sowie Datenvisualisierung oder Analyse Tools, die früher manuell geschrieben wurden.

Schwierigkeiten beim Einsatz von Vibe Coding:

  • Qualität & Wartbarkeit: Wenn du den Code nicht wirklich verstehst, wird es später schwer, Bugs zu finden, einzelne Abschnitte performanter zu machen oder Änderungen einzupflegen, die von der KI nicht richtig erfasst wurden.
  • Compliance: ISO 26262, ASPICE, OEM-Audits – hier gibt es keine Abkürzungen. KI kann unterstützen, aber Pflichtprozesse nicht ersetzen.
  • Sicherheit: KI kann Code erzeugen, der zwar funktioniert, aber potenziell unsichere Stellen enthält. Besonders riskant bei sicherheitskritischen Systemen im Auto. Es braucht also unbedingt Menschen, die den Code prüfen, testen und verstehen. Ohne „Human in the Loop“ wird’s gefährlich.
  • Halluzinationen: Modelle generieren mitunter Code, der plausibel aussieht, aber logische oder sicherheitsrelevante Fehler enthalten kann.
  • Fehlende Kontexttiefe: Ein KI-Modell kennt selten alle projektspezifischen Anforderungen, Abhängigkeiten oder Designentscheidungen.

Vibe Coding: Brauchen wir überhaupt noch Experten?

Die kurze Antwort: Absolut. Auch wenn manuelles Coding seltener wird, bleibt fundiertes Wissen unerlässlich. Entwickler müssen den generierten Code einordnen, weiterentwickeln und langfristig wartbar machen. Zweifellos kann Vibe Coding Entwicklungsprozesse beschleunigen, besonders bei frühen Prototypen oder standardisierten Aufgaben. Doch so verlockend die Vorteile sind, liefern KI-Modelle nicht immer auch automatisch fehlerfreien, optimalen Code und haben grundlegende Schwächen.

Die Rolle der Entwickler verschiebt sich daher: Sie sind nicht länger „nur“ Autoren von Code, sondern zunehmend auch Prüfer, Architekten und Übersetzer zwischen Anforderungen, KI-Systemen und der Codebasis. Denn letztlich ist die KI nur so gut wie die Person, die sie einsetzt.

Expertenmeinung: Das sagt unser Senior Software Engineer

Wir sprechen mit Thomas Schwiertz, Senior Software Engineer bei Cognizant Mobility:

„Entwickler und Entwicklerinnen verbringen geschätzt rund 30 % ihrer Zeit mit direktem Coding. Der Großteil fließt in Kommunikation, Abstimmungen, Compliance, Code-Reviews und organisatorische Prozesse – Aufgaben, die KI nur begrenzt beschleunigen kann. Zeitgewinne durch KI fließen daher nicht automatisch in mehr Output, sondern häufig auch in Refactoring, Weiterbildung und Qualitätssicherung. „Human in the Loop“ bleibt zentral für Verantwortung, Qualität und Sicherheit.“

Fazit Vibe Coding: Was Marktteilnehmer jetzt dazu sagen.

Vibe Coding, Large Language Models und agentische Systeme verändern die Spielregeln – auch in hochkomplexen Domänen wie bspw. Automotive. Doch keiner geht heute davon aus, dass Unternehmen bereits morgen Software ausschließlich via Spracheingabe entwickeln werden. Trotzdem werden bereits beeindruckende Effizienzversprechen kommuniziert – oft basierend auf Prototypen oder Laborszenarien, welche die Komplexität realer Projekte noch nicht in Gänze abbilden können.

Bezogen auf neue Technologien wie Vibe Coding steht bei Cognizant Mobility immer der eigentliche Impact auf das finale Softwareprodukt im Vordergrund. So schaffen wir Klarheit über Chancen, Risiken und die Verantwortung, die KI mit sich bringt. Echte Innovation entsteht nicht durch Hypes, sondern durch mutige, wohlüberlegte Schritte, die messbare Ergebnisse liefern. Diesen Beweis muss Vibe Coding noch erbringen – wenngleich die eingeschlagene technologische Richtung bereits heute mehr als vielversprechend erscheint.