„The next generation of material development“: Starker Claim des Münchner Tech-Start-ups „ExoMatter“. Das sich nicht weniger auf die Fahne geschrieben hat, als ein Tool zu entwickeln, das bei der Materialentwicklung von allen Branchen genutzt wird. Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir uns darüber mit Co-Founder Barbara Prähofer unterhalten und interessante Einblicke gewonnen – das sympathische, vor allem aber kompetente Interview findet ihr hier. Heute sprechen wir über das vergangene Jahr und die überaus spannenden – pun intended – Entwicklungen bei ExoMatter, über die ExoMatter Plattform und was bei der Materialentwicklung per Künstlicher Intelligenz zu beachten ist.
Marc
Marketing Professional
11.12.23
Ca. 10 min
Materialentwicklung im Automobilbereich: Die Herausforderungen
Moderne Fahrzeuge müssen heute vielen Anforderungen genügen. Das betrifft nicht nur das vielzitierte Connected Car, autonomes Fahren oder hohe Reichweiten für Elektro-Fahrzeuge. Auch der grundlegende Stoff des Fahrzeugs, dessen Material, ist nicht nur Grund für Überlegungen, sondern ein ganzes Forschungsfeld. Von Vorteil sind leichte Materialien, die aber dennoch modernsten Sicherheitsstandards genügen müssen. Hochentwickelte Materialien wie Kohlefaser oder andere fortgeschrittene Legierungen bieten in dieser Hinsicht viele Vorteile – können aber so teuer in der Herstellung sein, dass sie die Marktfähigkeit des finalen Fahrzeugs beeinträchtigen können. Auch der Umweltschutz spielt eine Rolle: Materialien müssen nachhaltig sein, also langlebig, energieeffizient in der Herstellung, und möglichst recyclingfähige Komponenten verwenden. Dabei müssen diese Materialien weiterhin kompatibel bleiben mit bestehenden Technologien, sich aber am Fortschritt der jeweiligen Branche messen lassen – auch und vor allem hinsichtlich der Herstellungsprozesse sowie der diversen Regulatorien, denen Fahrzeuge unterworfen sind.
An der Schwelle von „…wir verwenden das so, weil wir das eigentlich immer schon so machen“ zu „wie optimiere ich denn jetzt meine Komponenten so, dass es nicht wesentlich teurer, aber trotzdem effizienter wird?“ finden wir ExoMatter, ein Start-Up aus München, das sich seit Mitte 2022 als Ziel gesetzt hat, Unternehmen bei diesem Prozess der Materialfindung zu unterstützen.
Dafür setzt das junge Tech-Start-Up auf komplexe Algorithmen, die „out-of-the-box“ arbeiten und neue Wege finden, die bislang wenig erforscht wurden, und auf der einfach zu bedienenden ExoMatter Plattform beruhen. Davon konnten die jungen Gründer schon namhafte Unternehmen überzeugen wie beispielsweise Audi, Airbus und Infineon.
So findet ExoMatter neue Materialien für die Automobilbranche
Im Gespräch mit den Mobility Rockstars erklärte uns Barbara das grundsätzliche Vorgehen, um neue Materialien aufzufinden.
- Data Mining
Über eine Million verschiedener Materialien alleine im anorganischen Bereich verzeichnet die Liste bekannter Materialkomponenten. Nicht alle davon sind jederzeit problemlos einsehbar, aber zahlreiche Rohdaten am Markt erlauben eine umfangreiche Datensammlung. Häufig handelt es sich dabei um Expertendaten, die in der vorliegenden Form mitunter nicht oder nur schwierig auswertbar sind. Dennoch können bestehende Daten damit angereichert werden, um eine umfassende Sammlung an Daten aufzustellen und eine K.I. damit zu trainieren.
- Künstliche Intelligenz
Materialentwicklung per Künstlicher Intelligenz ist das Stichwort von ExoMatter: Sie kann helfen, Lücken in Datensätzen zu Materialzusammensetzungen zu finden. Ist das Material beispielsweise leichter als eine andere Legierung? Ist sie feuerfest, oder wasserlöslich? Ohne konkrete Daten zu diesen Punkten, in einer Reihe von Millionen denkbarer Datenkombinationen, kann Machine Learning der Schlüssel sein, um alle Eigenschaften einer potenziellen neuen Zusammensetzung zu prüfen.
- ExoMatter Plattform
Die selbstentwickelte ExoMatter Plattform nutzt die Materialdaten aus einer Vielzahl von Quellen, um den Machine Learning Teil des Systems anzutrainieren und Aussagen zu treffen, wohin die entsprechende Materialentwicklung gehen könnte. Physikalische und chemische Eigenschaften der Materialien werden in diesem Prozess vorhersagt, und auch Nutzer ohne chemische Vorkenntnisse können anhand ökonomischer und technischer Voraussetzungen an die Materialentwicklung herangehen.
Anhand dieses Vorgehens ist es sowohl möglich, neue Zusammensetzungen zu finden, als auch wahrscheinlich passende Komponenten zu matchen (und die Chance auf einen Treffer dabei graduell zu erhöhen). Besonderer Vorteil: ExoMatter stellt bereits die vielversprechendsten Kandidaten für mögliche Treffer zur Verfügung. So werden keine Materialien übersehen, und wie erwähnt sind Vorkenntnisse zumindest aus den Bereichen Physik oder Chemie nicht erforderlich (wenngleich sicherlich dennoch hilfreich).
ExoMatter – Aus welchem Material ist das schlagende Herz der Materialentwicklung?
Dank Lieferschwierigkeiten, Materialengpässen und einer weltpolitisch dynamischen Situation scheinen die Sterne gut zu stehen für ein Unternehmen, das mit modernen Tools Lösungen anbietet, um Materialien anzupassen oder im günstigsten Fall sogar selbst und neu zu entwickeln. Wer nicht länger mit Lithium oder Kobalt arbeiten kann, weil es schlicht nicht im heimischen Lager ankommt, ist dankbar, neue Zusammensetzungen zu finden, die den Einsatz der schwierig zu beschaffenden Komponenten reduzieren oder sogar überflüssig machen. Dank der Zusammensetzung des Gründerteams, das sich teils auch im Bereich der Materialwissenschaft verorten lässt, ist die thematische Kompetenz für die Entwicklung dieser Lösungen zweifelsfrei vorhanden, und auch die Erfolge hinsichtlich technologischer Partnerschaften sprechen für ExoMatter.
Dank der Möglichkeit im Entwicklungsbereich häufig mit bereits strukturieren Daten zu arbeiten – bestenfalls schon gelabelt – können Materialsimulationen gut vorhergesagt werden, und die Zukunft sieht weiterhin durchaus rosig aus: Quantencomputer beispielsweise haben das Potenzial, das traditionelle Machine Learning zu überflügeln und noch tiefer in die Simulationen einzutauchen, ohne dabei nennenswert mehr Energie zu verbrauchen. Die ExoMatter Plattform ist hierbei die Schnittstelle für den User, die die Materialentwicklung vereinheitlicht, im Grunde eine Art „Google der Materialien“. Wobei hinzuzufügen ist, dass die Plattform nicht nur neue Daten findet, sondern auch ein Datenmanagementsystem stellt, um diese zu verwalten. Um den Gang ins Labor für ausführliche Tests gibt es natürlich kein Herumkommen, aber digitales Testing, so die Vision, soll mit ExoMatter künftig ebenfalls optimiert werden. So könnte eine API-Schnittstelle zu den Laborgeräten eingerichtet werden, um die Daten direkt auf der eigenen Plattform zu sichten und testen. Die Einsparungspotenziale sind enorm.
Doch auch heute bieten sich vereinfachte Prozesse an: Wissenschaftliche Mitarbeiter können die Plattform öffnen, sehen praktisch alle existierenden externen und internen Daten und können sich nun die beste Materialzusammensetzung aussuchen. Und da wissenschaftliche Kenntnisse optimal, aber nicht zwingend vorausgesetzt sind, können auch beispielsweise Einkäufer prüfen, wo welche Materialien vorhanden sind und zu welchem Preis eingekauft werden können. Die nächste Generation der Materialentwicklung scheint hier also mehr als nur ein PR-Versprechen zu sein.
What´s Up Next, ExoMatter?
Die Vision der Gründer haben wir bereits eingefangen: Die weit verbreitete Plattform für die Materialentwicklung zu werden, das „Google der Materialien“. Eine hohe Messlatte – doch auch im Bereich der Sustainability sieht sich das Unternehmen aktiv tätig. Besonders das Thema der „circular economy“, also das Arbeiten beispielsweise mit recycelten Materialien kann durch die Materialfindung per K.I. optimiert werden. Schließlich lässt sich der CO²-Fußabdruck nun deutlich einfacher konkretisieren und tatsächlich bestimmen, und es können Zusammensetzungen gefunden werden, die wiederverwertete Materialien beinhalten.
Gerade in Zeiten, in denen der ökologische Druck auf Automobil-Unternehmen wächst, bietet ExoMatter Ansätze, die Öko-Bilanz bei relativ niedrigem Ressourcen-Einsatz zu optimieren – nicht nur bezogen auf die Automobilbranche ein erklärtes Ziel des Gründer-Teams.
Auch die Integration der Plattform in bestehende Systeme von Herstellern ist ein in der Entwicklung stehender Punkt der Material-Agenda, um den Aufwand im Rahmen einer möglichen Integration gering zu halten – ein sinnvoller Schritt, schließlich finden sich gerade im Automobilsektor oft umfangreiche Legacy-Systeme im operativen Einsatz.
Auf diesem sehr interessanten und innovativen Weg wünschen die Mobility Rockstars weiterhin viel Erfolg, auch beim Umzug ins neue Büro im Münchner Technologiezentrum MTZ, wo sich Entwickler und Werkstudenten, die am Thema interessiert sind, jederzeit melden dürfen.
Und wer weiß, vielleicht hören wir uns ja in einem Jahr nochmal bei ExoMatter um und sehen nach, was so alles passiert ist.