Smarter Road – Autotourismus 2.0: So lässt sich zukünftig das Stauchaos vermeiden!

Natur, Mobilität und Technik intelligent vernetzen – das ist das Ziel von Michael Becker, Energieeffizienzberater und Initiator des Konzeptes „Smarter Road“, aus Karlsruhe. Um den Individual- und Schwerlastverkehr zu reduzieren, möchte er bestehende Verkehrssysteme vernetzen und so eine Alternative zur Fahrt mit dem eigenen Auto schaffen. Wir haben mit ihm über seine Vision, erste Anwendungsszenarien und deren Umsetzung gesprochen!

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Michael, was steckt hinter deinem Konzept „Smarter Road“? Tausche Stau gegen Park & Ride?

Dahinter verbirgt sich ein neues Mobilitätsformat, um Straßen im ländlichen Raum zu digitalisieren und klimafreundlich zu gestalten.  Besondere Vorteile ergeben sich für touristische Regionen, die dieses Konzept zusätzlich auch für die Besucherlenkung verwenden können. Durch aktuelle Informationen in Echtzeit und durch die intermodale Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsmittel (ÖPNV/Regiobusse/Peoplemover, etc.) möglichst „on Demand“ und ohne feste Fahrpläne werden dem Gast Alternativen zum Gebrauch des eigenen Fahrzeuges gegeben. Gerade in Urlaubs- und Ferienzeiten können durch das Smarter Road Konzept Staus und Wartezeiten bei touristischen Hotspots vermieden werden. Aktuell ist dieser Aspekt auch für Corona-Beschränkungen von Interesse. Ziel sollte sein, während des Aufenthalts in einer Ferienregion gänzlich auf das eigene Auto zu verzichten. Dadurch können auch C02 Emissionen, THGs und Feinstäube reduziert und vermieden werden. Die Luft bleibt sauber und klar. Andererseits soll zukünftig auf einer „Smarter Road“ als einem „festgelegten Betriebsbereich im öffentlichen Strassenverkehr“ auch autonomes Fahren ab dem Level 3 möglich sein. Der interessierte Normalbürger kann sich mit den neuen Mobilitätstechnologien in einer Urlaubsatmosphäre und schönen Umgebung beschäftigen. Selbstverständlich gilt dies auch für eine komplette regionale Abdeckung mit eLadestationen, die mit regional erzeugtem Grünstrom betrieben werden. Durch die Nutzung von Sensorik und Aktorik bei der Straßen-Infrastruktur können zukünftig erhebliche Kosten durch vorausschauende Instandhaltung (Brücken/Tunnel, Bauwerke) eingespart werden. Schlaglöcher werden beseitigt, bevor diese entstehen.

Interviewpartner Michael Becker
Interviewpartner Michael Becker

Durch neue digitale Plattformsysteme (MaaS) und Navigation in Echtzeit wird es zukünftig Instrumente für den Anwender, in diesem Fall speziell für Urlauber und Tagesausflügler, geben. Dies fängt mit der Reservierung eines Parkplatzes und/oder einer e-Ladestation für ein Zeitfenster an und geht mit der Vorreservierung eines Besuchertickets über das Smartphone weiter. Es werden neue Anwendungen und Mobilitätsdienste entstehen, die wir momentan nicht für möglich halten. Voraussetzung dafür ist eine digitale Strasseninfrastruktur mit einem flächendeckenden Mobilfunk 5G, Sensorik, Verkehrsüberwachungssystemen und entsprechende Displays in Echtzeit. Auch sollten alle Verkehrsteilnehmer zukünftig miteinander Realtime vernetzt sein (V2X Konzepte). Unfälle können vermieden werden und Barrierefreiheit wird gewährleistet.

Wieso soll ausgerechnet die Schwarzwaldhochstraße zur ersten „Smarter Road“ werden?

Die Schwarzwaldhochstrasse (SWHS) gilt als die älteste und schönste Panoramastraße in Deutschland und wird jährlich von über einer Million Besucher besucht. Durch den neuen Nationalpark Schwarzwald kommen zusätzlich noch 150-200.000 Besucher hinzu, dies vor allem in Urlaubs- und Ferienzeiten. Um diese Besucher- und Verkehrsströme im Sinne des Klima- und Naturschutzes zu managen, bedarf es neuer Konzepte und digitaler Technologien. Die individuelle Anreise (MIV) soll durch andere, neuartige digitale Angebote bequem und stressfrei ergänzt werden.   Ich denke da an intermodale Angebote mit dem ÖPNV und autonome Peoplemover, die „on Demand“ angefordert werden können. Als weltweit erstem „use-case“ und Reallabor auf und an der SWHS kann die Mobilitätswirtschaft die neuen digitalen Technologien bis hin zum autonomen Fahren einem breiten Publikum anwendungsorientiert gezeigt werden. Ich komme aus der Region und habe aufgrund meiner Orts- und Geschichtskenntnisse ein besonderes Interesse an der SWHS (B500) zwischen Baden-Baden und Freudenstadt. Besonders auch durch den neuen Nationalpark Schwarzwald ergeben sich neue Anforderungen an die Mobilität in dieser Region.

Das heißt, wir sprechen hier keinesfalls von einem einzelnen Anwendungsgebiet. Die Schwarzwaldhochstraße soll viel mehr zu einem Leuchtturmprojekt für weitere „Smarter Roads“ werden?

Allein in Deutschland gibt es über 150 Ferien- Urlaubs- und Themenstraßen (Straße der…). Weltweit sind es mehrere tausend Straßen in touristischen Regionen (scenic by ways), die klimafreundlich und für die neue Mobilität ausgerüstet werden müssen. Ich denke dabei an Unfallvermeidung, Barrierefreiheit und Autonomes Fahren. Dazu muss die Infrastruktur aufgerüstet und digitalisiert werden. Wie komme ich von Smart City A nach Smart City B? In Zukunft hoffentlich über #smarterroads!

Stichwort: 5G – An welcher Stelle wird das Thema Connectivity für dich relevant und welche Rolle spielt dieses Thema für die Smarter Road?

Solange autonome Fahrzeuge noch nicht wirklich autark fahren können, sind Sie auf Informationen und Daten der Straße und anderer Verkehrsteilnehmer angewiesen. Das wird m.E. noch einige Jahrzehnte dauern, bis die Fahrzeuge mit Ihren eigenen Bordmitteln dies können. Selbst dann wäre es von Vorteil zusätzliche Echtzeit-Informationen über das Verkehrsgeschehen zu erhalten. Das ist genauso, als wenn man nachts im Dunkeln aufsteht und nach dem Lichtschalter sucht. Je mehr Umweltinformationen man bekommt, umso sicherer und flüssiger kann man sich bewegen.

Deswegen ist „Connectivity in Realtime“ und eine funktionierende Mobilfunkabdeckung, möglichst „5G“, eine Grundvoraussetzung für das Konzept einer „Smarter Road“.

Weitergedacht wären physische Verkehrszeichen nicht mehr notwendig, da alle Informationen ja von außen virtuell zu dem Fahrzeug gelangen. Gleiches gilt für bisher statische Tempolimits. Das System würde zukünftig die maximal mögliche aktuelle Geschwindigkeit über K.I. ausrechnen und vorgeben.

Die ganze derzeitige politische Diskussion über ein generelles Tempolimit wäre somit hinfällig!

Aber bis dahin ist es sicher noch ein weiter Weg. Deswegen verstehe ich meine „Smarter Road“ als wachsendes, dynamisches Konzept und Vision, um alle technologischen Möglichkeiten in Reallabore auszuprobieren und weiterzuentwickeln.

Dafür meine ich, sind Urlaubs-, Themen- und Ferienstraßen prädestiniert, die Bereiche Digitalisierung, ländliche Räume und Mobilität in touristischen Regionen zu verbinden.

Mit welcher positiven Verkehrsveränderung rechnest du durch die „Smarter Road“? Wo früher zu Hochzeiten hunderte Autos die Schwarzwaldhochstraße belagerten, sorgt die „Smarter Road“ zukünftig für…

Ein entspanntes Miteinander von Technik und Natur, von Besuchern, Einheimischen, Flora und Fauna im Sinne eines sanften Tourismus ohne Stau und Streckenüberlastung, sowie für eine deutliche Lärmreduzierung.

Wie soll am Ende mit der „Smarter Road“ Geld verdient werden? Ist dein Erlösmodell so ausgelegt, dass es die hohen Investitionskosten rechtfertigt?

Wer spricht denn von hohen Investitionskosten? Was ich benötige als Grundbedingung ist ein funktionierendes Mobilfunknetz, möglichst 5G oder höher für Echtzeitanwendungen. Alle weiteren Investitionen können sukzessive und nach Erfordernis erfolgen: Verkehrslenkung, Parkraummanagement, ÖPNV und on demand, e-Ladeinfrastruktur, Lärmüberwachung, MaaS, etc. Mein Geschäftsmodell besteht aus der Zertifizierung und der wiederkehrenden Auditierung von Urlaubs- und Ferienstraßen (scenic byways) als „smarter road“. Ich habe mir diese Bild- und Wortmarke zwischenzeitlich weltweit schützen lassen. Ziel wird sein, diese Marke „smarter road“ als Synonym für nachhaltige Mobilität im ländlichen Raum und touristischen Regionen einzuführen und bekannt zu machen. Weltweit spreche ich von einigen tausend „scenic byways“, welche für so eine Gütequalifizierung in Frage kämen, auch im Hinblick für die Zertifizierung zum autonomen Fahren.

Dein Fokus liegt also klar auf der konzeptionellen Ebene. Für die Umsetzung der „Smarter Road“ ist neben einer Städtepartnerschaft sicherlich auch ein Firmennetzwerk notwendig, oder? Gibt es schon Partnerfirmen, von denen du uns berichten kannst?

Momentan stehe ich mit einigen OEMs und größeren Zulieferern in Kontakt. Gleichfalls habe ich Verbindung zu Forschungseinrichtungen und Hochschulen. Problematisch bleibt der Kontakt zu Politik und Verwaltung, da dort noch ein ausgeprägtes Schubladendenken vorhanden ist. Ich orchestriere zurzeit die Beteiligten fachübergreifend und interdisziplinär. Die sozialen Medien, allen voran LinkedIN, sind dabei hervorragende Werkzeuge, um so eine Idee bekannt zu machen und voranzutreiben. Für ein erstes PoC und die Anschubfinanzierung brauche ich notwendiger-weise Fördermittel, auch um Risiken für die Beteiligten zu minimieren. Interessant wäre dabei ein transnationales Projekt, z.B. mit Frankreich und der Schweiz im Oberrheingraben und dieses dann über EU-Mittel (Horizon 2030) fördern zu lassen.

An vielen Orten wird stark am Ausbau des ÖPNV gearbeitet. Siehst du dich als eine Art Personenzusteller für die letzte Meile? 😉

Sicher eignen sich einige Algorithmen und Ideen der „smarter road“ auch für den innerstädtischen Verkehr und umgekehrt. Da können beide Bereiche im Sinne der Mobilitätswende voneinander lernen und profitieren. Dies gilt besonders für die intermodale Verknüpfung von dem ÖPNV mit anderen Verkehrsträgern.

Science-Fiction Frage: Entwächst die „Smarter Road“ den touristischen Hotspots und erobert in Zukunft sowohl im urbanen als auch im ländlichen Raum herkömmliche Straßen?

Also ich träume davon, dass die neue Seidenstraße zur Smarter Road wird! Spaß beiseite, aber wenn ich das Prinzip der Smarter Road als digitalisierte Straße anwende, kann jede Strecke zwischen zwei Punkten zur Smarter Road werden! Die OEMs haben sich in der Vergangenheit nur um ihre Hardware „Automobil“ gekümmert. Aber ohne die entsprechende Straßeninfrastruktur nützt das modernste Fahrzeug nichts.  Für eine nachhaltige Mobilitätswende müssen alle Parameter (Fahrzeuge, Strasse, Technik, Verkehrsteilnehmer, rechtliche Rahmenbedingungen) aufeinander abgestimmt sein.  Wie in einem großen Orchester der Dirigent für einen Wohlklang der zu spielenden Partitur sorgt.

Wir bedanken uns für das Interview – weitere spannende Themen stellen wir auf unserer Hauptseite, unter diesem Beitrag und natürlich auf der Firmenwebsite der Cognizant Mobility bereit. Wir wünschen viel Spaß beim Stöbern!

20.01.22